Während des 2. Weltkrieges war im Frühjahr 1940 die Beschlagnahmung der Kirchenglocken verfügt worden. Das Metall sollte für die deutsche Rüstungsindustrie eingeschmolzen werden. Der Transport zu den Schmelzhütten begann im Winter 1941/42. Die Kreishandwerkerschaften mussten die Glocken aus den Kirchtürmen holen und mit Ölfarbe darauf eine Kennziffer vermerken.
Die Glocken wurden in vier Gruppen von A bis D eingestuft. Die jüngeren gehörten zur Kategorie A. Es handelte sich oft um Glocken, die als Ersatz für die im 1. Weltkrieg beschlagnahmten und eingeschmolzenen Glocken neu angeschafft worden waren. Diese sollten als erste zur Verwertung gebracht werden. In die Gruppen B bis D wurden je nach historischer und künstlerischer Bedeutung die restlichen Glocken aufgeteilt.
Die B- und C-Glocken wurden aus Platzgründen bei ihrem Eintreffen in Hamburg, wo sich zwei der Hütten befanden, übereinandergestapelt, was zu Beschädigungen führen konnte. Bis zu den Luftangriffen im Juli 1943 konnten Kunsthistoriker und Fotografen viele davon vermessen, fotografieren, Plastiken abformen und beschreiben. Wegen den massiven Luftangriffen entschied man sich dazu, die wertvollsten Exemplare auszulagern. Dabei bekam ein voll beladenes Boot einen Volltreffer und sank. Glücklicherweise konnte die Fracht in der Nachkriegszeit bei Arbeiten im Hafenbecken von Tauchern gehoben werden.
Aus deutschen Kirchen wurden 90.000 Glocken eingeschmolzen, aus den besetzten Gebieten 60.000.
Erstaunlicherweise sind ca. 80% der B- und C-Glocken erhalten geblieben und befanden sich zum Ende des Krieges noch in den Sammelstellen, auch Glockenfriedhöfe genannt. Darunter waren auch mehr als tausend Glocken aus Schlesien. Die Militärverwaltung ordnete zunächst die Rückführung in die erhalten gebliebenen katholischen und evangelischen Kirchengemeinden der Besatzungszonen an. Die Glocken aus den Gebieten jenseits von Oder und Neisse wurden zuletzt genutzt, um Lücken in Geläuten von Gemeinden in Westdeutschland aufzufüllen.
Es handelt sich bei den Patenglocken explizit nur um Leihgaben, die Eigentumsverhältnisse sind aber bis heute nicht abschließend geklärt. Den „neuen“ Gemeinden gehören die „Leih- bzw. Patenglocken“ eindeutig nicht. Diese sind aber dazu verpflichtet, die Leihgaben bestmöglich zu pflegen und zu warten. Die Glocken dürfen nicht verkauft oder weiterverliehen werden.
Den Gemeinden in den alten Kirchen gehören sie allerdings auch nicht, schließlich wurden die Glocken von der damaligen Regierung zur Verwertung enteignet und befanden sich zum Kriegsende auf heutigem Bundesgebiet. Die heutige Bundesregierung ist als ihre Nachfolgeorganisation vermutlich am ehesten als Eigentümer einzuordnen. Wenn Patenglocken an ihren ursprünglichen Platz zurückkehren, geschieht das im Rahmen einer Dauerleihgabe.
Im Deutschen Glockenarchiv gibt es umfangreiche Unterlagen über die schlesischen Glocken. In der zugehörigen Kartei war allerdings oft nicht vermerkt worden, wohin man sie verteilt hatte. In mühevoller Kleinarbeit wurde der Verbleib recherchiert. Manchmal waren die Glocken in der Zwischenzeit weitergegeben worden. Hilfreich bei der Identifizierung sind u. a. Beschreibungen in alten Chroniken (wie z. B. in der Eisersdorfer Chronik). Eine Glocke aus Eisersdorf befindet sich übrigens heute in der Kirche St. Willehad in Nordenham.
Manche Landeskirchen bzw. Bistümer haben durch einen Sachverständigen ein Inventar erstellen lassen. In den Glockenbüchern des Erzbistums Köln und Aachen sind unter anderem Glocken aus Rückers (1709), Oberschwedeldorf (um 1500), Bad Landeck (1688), Wilhelmsthal (1739), Altwaltersdorf (1777) und Niedersteine (1663) zu finden.
Eine Glocke aus Kunzendorf a. d. Biele, die an eine Kirche im Odenwaldkreis ausgeliehen war, soll sich mittlerweile im Museum Glockenwelt auf der Burg Greifenstein befinden.
Das Deutsche Glockenmuseum empfahl auf Anfrage das Buch:
Marceli Tureczek: Leihglocken (Dzwony z obzzaru Polski w granicach po 1945 roku przechowywane na terenie Niemiec – Bells from territories within post-1945 borders of Poland stored in Germany). Warszawa 2011.
Darin sind die Glocken der ehemaligen Ostgebiete verzeichnet, die nach 1945 an westdeutsche Gemeinden verteilt wurden.
Eine zentrale Stelle zur Rückführung von Leihglocken gibt es nicht. Jede Landeskirche (ev.) oder Bistum (kath.) handhabt das anders. Einzelne Glocken wurden in neuerer Zeit an die Ursprungskirchen in Schlesien zurückgegeben, wie z. B. in die Diözese Świdnica/Schweidnitz. Die Organisation ist aufwändig, da alle beteiligten Parteien zu einer Einigung kommen müssen. Manchmal existieren aber die Kirchen in Osteuropa auch nicht mehr.
Einige Anfragen an Gemeinden mit Patenglocken aus der Grafschaft Glatz mit der Bitte um ein Foto der Glocke und weitere Informationen, blieben alle unbeantwortet.
Auf dieser Webseite kann man z. B. mit dem Suchwort „Schlesien“ in der Volltextsuche nach Glocken suchen und sich sogar anhören: Glocken-Finder
Quellen:
Gerhard und Dorothea Kopetzky: Schlesische Glocken läuten im Bundesgebiet. In: Grofschoaftersch Häämtebärnla 1991, 43. Jahrgang, S. 80ff



