Die „Wunderarznei“ hat eine besondere Geschichte, wie in nachfolgendem Beitrag beschrieben wird.
Johannes Treutler
Er wurde 1820 unehelich in einem Dorf in Böhmen, Hannchen bei Rockitnitz (heute Rokytnice v Orlických horách) im Adlergebirge geboren. Seine Mutter war Margaretha, Tochter des Clemens Treutler, wohnhaft in Hannchen Nr. 4. Johannes kam aus ärmlichen Verhältnissen. Er erlernte das Weberhandwerk. Darin sah er aber nicht seine Lebensaufgabe. Es zog ihn in den geistlichen Stand. So wurde er 1845 in Neurode in den Dritten Orden des hl. Franciscus aufgenommen. Danach wurde ihm das Amt des Kapellenwärters auf dem Spittelberg übertragen, wo es auch die Marien-Wallfahrtsstätte „Maria Trost“ gab. Er wohnte in einem Einsiedler-Haus auf dem Berg ab dem Jahr 1846. Nach 8 Jahren zog es ihn auf den Kreuzberg bei Reichenstein. Nach 6 Jahren kehrte er wieder auf den Spittelberg zurück.
Auf dem Spittelberg (heute Wzgórze Marii)
Der Spittelberg gehört zur Glatzer Vorstadt Königshain. Johannes sah viele kranke Menschen, die als Wallfahrer den Berg hinaufkommen. Er hatte Kontakt zu den Kranken, die Hilfe und Trost im Gebet suchten. Durch seine Naturverbundenheit und Begabung in der Heilkunde sammelte er Kräuter in den Wäldern der Umgebung rund um Glatz und braute ab ca. 1860 nach einem Geheimrezept das sogenannte „In Nazareth Aechter Jerusalemer Balsam im goldenen Engel“ zusammen. Damit konnte er vielen kranken Besuchern des Spittelbergs helfen.
Wie kam die Rezeptur in die Grafschaft?
Der Kaplan Augustin Staude aus Schlegel bei Neurode brachte 1859 die Rezeptur für ein Emplastrum (medizinisches Pflaster für Wunden) sowie ein Laxans (Pater Antonio Verdauungs-Pillen) von einer Pilgerreise von Jerusalem in die Grafschaft Glatz mit. Es handelte sich um eine Abschrift vom Original der Jerusalemer Rezeptur des Paters Antonius Menzani. Dieser Ordensbruder war weder Arzt noch Apotheker. Er war nach damaligem Recht ein Bader, der die Apotheke leitete. Man nimmt an, dass der Kaplan Staude dem armen Einsiedler die Rezepturen überlassen hat.
Quelle: Die historische Apotheke der Franziskaner in Jerusalem von Richard Schittny, Gütersloh
Die Erfindung des Heilmittels geht lt. überlieferten Quellen aber nicht auf Johannes Treutler zurück. Der Balsam wurde bereits im 18. Jahrhundert von den Krummhübler Laboranten und von der Thüringer Firma Lichtenheldt hergestellt. Die sogenannten Krummhübler Laboranten waren seit Jahrhunderten Arzneiverkäufer auf Jahrmärkten und hatten ihre Produktion in Krummhübel im Riesengebirge. So könnte der Einsiedler auf die Idee gekommen sein, als er eines Tages ein Fläschchen in der Hand hatte. Identisch war seine Rezeptur mit dem Krummhübler Jerusalem Balsam aber nicht.
Wirkung des Jerusalem-Balsams
Johannes Treutler ließ sich anfangs von dem Apotheker Louis Ambrosius der Glatzer Hirsch-Apotheke beraten und kaufte dort die erforderlichen Bestandteile seiner Medizin ein. Der Balsam war als Hausmittel für fast alle Krankheiten einsetzbar. Hauptsächlich wurde er aber tropfenweise für den Magen eingenommen. Die preußischen Soldaten, die durch das Glatzer Land Richtung Österreich zogen, sollen es 1866 als Wundarznei eingesetzt haben. Die Medizin wirkte wie ein Pflaster: Es kam zum Wundverschluss und Desinfektion einer Wunde. So war Treutlers Balsam schnell in „aller Munde“ und die Nachfrage stieg an. Es wurde ein großer Erfolg.
Eine wichtige Veränderung der Rezeptur wurde 1887 vorgenommen: Der Gehalt an Alkohol wurde von 70% auf 30% reduziert. So war der Balsam verdünnt und man konnte ihn nun als Magenbitter likörglasweise einnehmen. Er war hilfreich und lindernd bei Magen- und Darmbeschwerden, Koliken, wurde aber auch bei Erkältungen, Atemwegerkrankungen, Asthma und Herzschwäche empfohlen. Als Pflaster und Wundverschluss war diese Medizin dann nicht mehr geeignet.
Vom armen Einsiedler zum reichen Mann
Nicht nur die Wallfahrer kamen zum Spittelberg. Auch auswärtige Abnehmer bestellten schriftlich bei Johannes Treutler unter der Adresse: Einsiedelei Spittelberg bei Glatz. Er produzierte oben auf dem Berg. Von seiner guten Einnahmequelle baute er sich im Laufe der Zeit drei Häuser u.a. die „Johannesburg“ im orientalischen Stil. Später kaufte er auch den Spittelberg. Er starb in Königshain am 11. Februar 1892 (lt. Sterbeurkunde Glatz, 1892 Nr. 37). In seinem Testament setzte er das Krankenstift Scheibe zum Universalerben ein incl. seiner Rezepte. In seinem Nachlass bedachte er u.a. auch seine Wirtschafterin, die Witwe Anna Fischer geb. Klapper.
Die Glatzer Apotheken
Die Lizenz und Vertriebsrechte des Jerusalem-Balsam erwarb 1892 Johannes Schittny von dem Krankenstift Scheibe. Er war der Inhaber der Mohren-Apotheke und verkaufte es nun unter der Bezeichnung „Einsiedler Treutler Balsam“. Später änderte man es in „Einsiedler Balsam“ um. Als Johannes Treutler noch lebte, gab es keine Konkurrenz. Als aber nach seinem Tod die Mohren-Apotheke gute Umsätze erzielte, gab es noch mehrere Apotheken in Glatz und auch in Wartha, die sich um das Geschäft mit dem Balsam bemühten. Die Glatzer Hirsch-Apotheke, die Johannes Treutler bei der Zubereitung des Balsams beraten hatte, verkaufte es unter der Bezeichnung „Jerusalemer Balsam“.
Nach dem zweiten Weltkrieg
Marktführer war aber die Mohren-Apotheke und vertrieb den Jerusalem Balsam über alle Apotheken in Deutschland. Nach dem zweiten Weltkrieg verließ die Familie Schittny die Stadt Glatz. Der Apotheker Dr. Richard Schittny gründete mit seinem Sohn Hans Richard Schittny zuerst in Osnabrück eine neue Produktionsstätte für den „Einsiedler Treutler Balsam“. Im Jahr 1950 wurde dann die Nachfolgerin der Glatzer Mohren-Apotheke incl. Produktion in Gütersloh in Nordrhein-Westfalen eröffnet. Der Balsam wurde bis in die 1970er Jahre dort hergestellt. Im Jahr 1995 verpachtete man die Apotheke und in 2021 wurde sie in Linden-Apotheke umbenannt.
Der Inhaber der Glatzer Hirsch-Apotheke gründete in Gelsenkirchen die Barbara-Apotheke.
Fazit
Johannes Treutler war durch sein Jerusalem Balsam der bekannteste Einsiedler in der Grafschaft Glatz und wurde zum Unternehmer. Er hat nicht nur den Wallfahrern und Soldaten sondern auch vielen kranken Menschen durch seine Kräutermedizin geholfen. So „reiste“ in den 1950er-Jahren eine der schlesischen Spezialitäten nach Westfalen.
Quellen:
- Grofschoaftersch Häämtebärnla 1995, Jahrbuch der Grafschaft Glatz, 47. Jahrgang „Der Einsiedler Treutler“ S. 54- 61 von Hans Richard Schittny
- Hans Richard Schittny, 600 Jahre Mohren-Apotheke Glatz, Marx Verlag