Die private Hörfunkgesellschaft „Schlesische Funkstunde“ gehörte in den Anfängen des Rundfunks in Deutschland zu den Pionieren. Das Sendegebiet umfasste das Gebiet der damaligen Oberpostdirektionen von Breslau, Oppeln und Liegnitz (d. h. der schlesische Teil von Preußen mit ca. 4,5 Mio Einwohnern). Neben der Sendeanlage in Breslau gab es auch in Görlitz und Gleiwitz zwei Nebensender. Der fingierte Überfall auf den Grenzlandsender Gleiwitz am 31. August 1939 ging als einer der Vorwände für den Überfall auf Polen am Vorabend des Zweiten Weltkriegs in die Geschichte ein.
Der Ursprung des Senders ist im physikalisch-naturwissenschaftlichen Bereich der Schlesischen Friedrich-Wilhelm-Universität in Breslau zu finden. Der dort tätige Geheime Regierungsrat Prof. Dr. Otto Lummer (1860-1925) war einer der Initiatoren, zu denen auch der Breslauer Hutfabrikant Franz Schneiderhan (1863-1938) gehörte.
Die Schlesische Funkstunde A.G. wurde am 4. April 1924 in Breslau gegründet. Nach einigen Testsendungen Anfang Mai, nahm der Sender bereits am 26. Mai 1924 den Betrieb auf und strahlte auf Mittelwelle aus. Schon Ende 1924 erreichte man trotz geringer Reichweite über angemeldete 39.000 Hörer.
Die Rundfunkgebühr betrug stolze 60 Mark im Jahr. Viele bastelten sich ihr eigenes Empfangsgerät zusammen und hörten „schwarz”. Nach der Währungsreform wurde der Beitrag auf 2 Reichsmark im Monat gesenkt. Bis 1926 hörte man über Kopfhörer mit einem Detektoren-Empfänger. Mit der Einführung der Röhrengeräte konnte man über Lautsprecher zuhören. Ab 1927 war keine Batterie mehr notwendig, es gab Radios für den Netzbetrieb.
Musikalischer Leiter wurde der sudetendeutsche Komponist Edmund Nick (1891-1974), der Kapellmeister an den Breslauer Schauspielbühnen war. Der Journalist Fritz Ernst Bettauer (1887-1951), später dann Fritz Walter Bischoff (1896-1976) wurde zum literarischen Leiter berufen.
Am 21. Juni 1925 wurde mit einer besonderen Übertragung ein Meilenstein in der Deutschen Rundfunkgeschichte gesetzt. Es handelte sich um das vermutlich erste live gesendete Hörspiel: Die Gespenstersonate nach Motiven von E. T. A. Hoffmann „Spuk“. Die Schwierigkeit bestand darin, es den Hörern zu ermöglichen, die Handlung allein durch Sprache, Musik und Geräusche zu visualisieren. Leider gibt es keine gespeicherte Tonaufnahme der Sendung, aber die Hörer gaben in Leserbriefen ihre Begeisterung für diese neue Form der Unterhaltung bekannt.
Heute sind Hörspiele für uns eine Selbstverständlichkeit und die Menge der veröffentlichten Geschichten für die verschiedenen Zielgruppen vom Kleinkind bis zum Erwachsenen ist unüberschaubar.
Im Dezember 1925 wurde eine neue, leistungsstärkere Sendeanlage von Telefunken mit zwei 100m hohen Stahlfachwerktürmen als Antennenträger in Betrieb genommen.
Ab 1926 standen an etwa zwei Sendeterminen pro Woche insgesamt mindestens 376 Hörspielfolgen auf dem Programm, 1932 beispielsweise ein Hörspiel von Erich Kästner. Zu diesem Zeitpunkt hatte man über 234.000 Hörer.
Der Schlesische Sender brachte ein breit gefächertes Angebot an Informationen und Kultur ins heimische Wohnzimmer. Wohl dem, der bereits ein Rundfunkgerät sein Eigen nennen konnte.
Live-Konzerte, Schallplattenkonzerte und sonntags auch geistliche Musik, Wetterbericht und Wasserstandsmeldungen, Zeitansagen, Nachrichten, Sportmeldungen, Plaudereien, Reportagen, Gedichtlesungen, Kinderrundfunk, Lehr- und Bildungskurse, Sprachkurse, Ratschläge fürs Haus, heitere und ernste Darbietungen, usw. gehörten zum Programm, dass in einer eigenen Programmzeitschrift abgedruckt wurde.
Opern, Operetten, Militärmusik und Schlager erfuhren so einen hohen Verbreitungsgrad. Besonders beliebt warten die humoristische Darbietungen des Schauspielers Ludwig Manfred Lommel (1891-1962) mit seiner Rollenfigur „Paul Neugebauer“.
Ludwig Manfred Lommel: Am Fahrkartenschalter
Ab 1933 gehörte der Sender zur Reichs-Rundfunk-Gesellschaft. Kurz darauf verlor er im Zuge der Gleichschaltung seine Eigenständigkeit und die ursprünglichen Leiter wurden entlassen. Aus der „Schlesischen Funkstunde“ wurde der „Reichssender Breslau“. Durch die Einführung des „Volksempfängers” konnten noch mehr Haushalte erreicht werden und die Radioübertragung wurde zum einem wichtigen Instrument der NS-Propaganda.
Am 7. Februar 1945 wurde der Sender von deutschen Soldaten demontiert und der Programmbetrieb damit eingestellt.
Im ehemaligen Gebäude der Schlesischen Funkstunde befindet sich heute der Sitz des Radiosenders Radio Wrocław.