Kategorien
Damals Grafschaft Glatz Kultur Post(karten)

Memento mori

Kapelle neben der Kirche in Tscherbeney
Die Schädelkapelle neben der Pfarrkirche St. Bartholomäus.

Zwischen der Pfarrkirche St. Bartholomäus von Tscherbeney und ihrem frei stehenden Glockenturm befindet sich eine kuriose Sehenswürdigkeit der Grafschaft Glatz – Die Schädelkapelle.

Die Kapelle selbst ist zwar relativ klein, doch im Inneren beweist sie ihr wahres Raumwunder. An der Hauptwand befindet sich ein kleiner Altar mit einem Kruzifix. Wände und Decke des Raumes sind mit ca. 3.000 menschlichen Schädeln und diversen Schienbeinkochen bedeckt. Weitere  20 – 30.000 Knochen befinden sich in der Krypta unterhalb der Kapelle. Die genaue Zahl kennt vermutlich niemand. Es sind die sterblichen Überreste von Opfern vergangener Pest- und Cholera-Epidemien der näheren Umgebung und den Gefallenen des Dreißigjährigen Krieges und der Schlesischen Kriege.

Ansichtskarte der Schädelkapelle in Tscherbeney
Ansichtskarte der Schädelkapelle Tscherbeney bei Bad Kudowa

An den oberen äußeren Bildrändern der Ansichtskarte kann man zwei hölzerne Engelsskulpturen erkennen. Der eine Engel hält eine Waage mit einer lateinischen Inschrift: “Geht vor das Gericht”, dieser symbolisiert das Jüngste Gericht. Der andere hält eine Trompete mit einer ebenfalls lateinischen Inschrift, die “Steht auf von den Toten” lautet. Dieser symbolisiert die Auferstehung.

Totenkapellen sollten den gläubigen Christen vor Augen halten, dass der Tod das unvermeidliche Schicksal des Menschen ist und er durch einen untadeligen Lebenswandel (oder, falls notwendig, durch Bußbereitschaft) jederzeit vorbereitet sein sollte, vor seinen Schöpfer zu treten.

In früheren Zeiten war die Gegenwart des Todes ein alltäglicher Begleiter. Eine hohe Kindersterblichkeit, Mangelernährung, ansteckende Krankheiten, viele Unglücksfälle, kriegerische Auseinandersetzungen und gleichzeitig eine fehlende medizinische Versorgung, forderte ihre Opfer. Verwandte und Nachbarn nahmen Anteil am Prozess des Abschiednehmens mit Totenwache, Beerdigung, Begräbnisfeier, Sechswochenamt und dem Jahresgedächtnis zum Ende des Trauerjahres. Daher werden die Menschen früherer Zeiten die Zurschaustellung von Knochen als weniger makaber oder pietätlos empfunden haben, als es vielleicht heute der Fall ist.

Wenzel Tomaschek war 40 Jahre lang Priester in Tscherbeney. Ein Besuch der Katakomben in Rom im Jahre 1775 und der Anblick der offenen Gräber mit ihren Skeletten in Kirchen und Kapellen hatte einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen. Nach Hause zurückgekehrt, wollte es der Zufall, dass er Hunde dabei überraschte, wie sie neben der alten Leichenhalle die Erde aufgruben, wobei menschliche Knochen sichtbar wurden. Mit seinem Küster und dem Totengräber des Ortes fing er sogleich selbst an zu graben. Sie stießen auf Tausende von Knochen in einem Massengrab und Tomaschek beschloss, alle menschlichen Überreste in einer Kapelle zu sammeln. Der Totengräber bekam den Auftrag, die Knochen zu säubern und zu bleichen. Die Arbeiten an der Kapelle wurden 1776 begonnen und dauerten bis 1804 an. Sowohl Wenzel Tomaschek als auch der Totengräber beschlossen, dass ihre eigenen Knochen eines Tages nach ihrem Tode ebenfalls in dieser Kapelle ausgestellt werden sollten, was auch tatsächlich geschah.

Nur noch ein Gedanke dazu: Die Untersuchung der Kochen in der Kapelle von Tscherbeney mittels DNA-Analyse und der Abgleich mit aktuell lebenden „Verwandten“ in den Datenbanken könnte ein sehr spannendes (aber auch sehr arbeitsintensives) wissenschaftliches Langzeitprojekt sein, falls das Bleichen der Knochen nicht zu gründlich mit Chemikalien erfolgt ist.

Quellen:

Roland Gröger und Marek Sikorski. An der Grenze der Legende und des Glaubens – Sehenswürdigkeiten und Kunstschätze der Grafschaft Glatz. Glatzer Heimatbücher Band 11. Marx Verlag, Leimen. 1994.

Wikipedia (Farbfotos)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert