Aus dem ursprünglich religiösen Erinnerungsfest an die Kirchweihe wurde ein geselliges Orts- und Familienfest. Aus praktischen Gründen verschob man den Jahrestag einfach in den Herbst. Denn im Herbst war der Großteil der Feldarbeit mit dem Einbringen der Ernte erledigt und es war Zeit, sich auszuruhen und zu feiern. Jeder Ort hatte seinen Kirmessonntag, der vom September an bis zum letzten Sonntag vor dem 1. Advent liegen konnte. Die ganze Verwandtschaft war eingeladen. Mit etwas Glück hatte man Verwandtschaft in mehreren Orten der Umgebung und war nicht nur Gastgeber, sondern auch mehrfach andernorts zu Gast. Die Zeit erfreute sich aus verständlichen Gründen allgemeiner Beliebtheit.
„Die Kärmes is onse, die loon mer ons nee nahma.”
Schon Wochen vorher begannen die Planungen, Vorbereitungen und das Anlegen von Vorräten. Manche stürzten sich dafür in Unkosten und mussten den Winter über sehr sparsam haushalten.
Nachdem tagelang das Haus vom Boden bis zum Keller gefegt und geputzt worden war, wurden am Samstag ganze Berge von Kuchen gebacken: „Pflaumamoatsch, Bärnaprontsch, Sträselkucha, Quorkkucha, Pfafferkucha“ und noch „welcha mit Mooh“. Auf manchen Höfe wurden angeblich 80 und mehr Kuchen gebacken. Mitten in diesen Vorbereitungen trafen bereits Übernachtungsgäste aus weiter entfernten Orten ein.
Der Kirmessonntag begann mit einem Festgottesdienst. Die Kirche war geputzt und mit Kränzen geschmückt. Auf dem Kirchturm wehte ein rotes Fähnchen als Zeichen dafür, dass am heutigen Tag Kirchweih gefeiert wurde.
Bereits zum Mittagessen hatten sich die Gäste eingefunden und die „gute Stube“ war voll. Der lange Ausziehtisch war mit der guten Tischdecke und dem feinen Porzellangeschirr gedeckt. Es gab „Nudelsoppe, Rendfläsch mit Kreentonke, saueren Gurken und äne Schniete Brot derzu“ und Schweinebraten mit „Blaukraut und Kartoffelkließla“.
Nach einem anschließenden Verdauungsspaziergang mit viel Fachsimpelei durch die Ställe und über die Felder, setzte man sich zum „Kaffeetrenka“ wieder zusammen (selbstverständlich mit echtem, nicht alltäglichen „Bonnkaffee“) und blieb bis zur Abendbrotzeit sitzen. Das konnte nach dem ausgiebigen Essen ausfallen.
Am Montag wurde der Toten mit einem feierlichen Requiem gedacht und die Gräber auf dem Friedhof besucht. Danach wurde weiter gefeiert und getanzt. Für das Mittagessen sorgte man mit den Resten des Vortages, danach verabschiedeten sich die Gäste wieder. Die restlichen Kuchenstücke bekamen die Gäste als „Mittebränge“ für die Daheimgebliebenen eingepackt.
Nachmittags wurden nur die nötigsten Arbeiten in Stall und Küche erledigt, dann eilte man zum Festplatz. Abends traf sich das ganze Dorf beim Kärmestanz im Kretscham. Das „Kärmesobendassa“ bestand aus „Kartoffelsaloat on Worscht“ mit einem „Gloas Bier“.
In manchen Ortschaften dauerte die Kirmes noch eine paar Tage länger, manchmal eine ganze Woche. Kritiker sahen in den ausgedehnten Kirmeslustbarkeiten einen Verfall der guten Sitten. Ob sie damit Recht hatten, könnte ein Blick in die Kirchenbücher des folgenden Sommers klären.
Auch nach der Vertreibung feierten viele Familien und Heimatgruppen im In- und Ausland weiter ihre Kirmes. Mittlerweile werden diese Heimatfeste immer weniger, da auch die Zahl derjenigen, die noch bei einer Kirmes “Zuhause” dabei waren und die Tradition weiterführen könnten, leider weniger wird.
Quellen:
Alois Bartsch: Die goldene Schnur geht um das Haus. Marx Verlag. 1980. S. 75 ff.
Aloys Bernatzky: Lexikon der Grafschaft Glatz. Glatzer Heimatbücher, Band 8. Marx Verlag Leimen. 1984. S. 136
Walter Großpietsch: Kirmes in der Grafschaft Glatz. Ein Höhepunkt im ländlichen Jahreslauf. Häämtebärnla – Jahrbuch 2019, S. 93 ff.