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Cholera im Krankenstift

Krankentransport
Transport eines Erkrankten

Im Jahre 1851 ermöglichten es zahlreiche Wohltäter, das Barmherzige Krankenstift für arme Kranke der Grafschaft Glatz in Scheibe, vor den Toren von Glatz, zu errichten. Die Krankenpflege wurde von Franziskanerinnen aus dem Mutterhaus St. Mauriz zu Münster in Westfalen übernommen. Das Krankenhaus wurde über die Jahre hinweg mehrfach erweitert. Im Jahr 1944 waren dort 70 Schwestern tätig.

Die Einträge der Begräbnisbücher dokumentieren deutlich, dass der Wirkungskreis recht schnell auch über die Grenzen der Grafschaft hinausreichte. Verstorbene wurden häufig auf dem Friedhof des Stifts begraben. Damit stellen diese Bücher eine wichtige Quelle für Familienforscher dar, da Verstorbene oft nur dort und nicht in den Begräbnisbüchern ihrer jeweiligen Heimatorte verzeichnet sind.

Die Krankenpflege entwickelte sich erst mit dem Krimkrieg (1853-1856) und durch den beharrlichen Einsatz der britischen Krankenschwester Florence Nightingale allmählich zu einem anerkannten Ausbildungsberuf für Frauen.

Die Ursachen von Infektionskrankheiten waren lange Zeit unbekannt. Die Wichtigkeit einfacher Hygieneregeln wie Händewaschen oder das Isolieren von Patienten bei bestimmten Krankheiten waren noch lange nicht etabliert. Daher standen Ärzte und Krankenpfleger vor einem völligen Rätsel, als sich 1873 ein Cholera-Ausbruch im Krankenstift Scheibe ereignete. In der Nacht vom 10. auf den 11. August erkrankten acht der pflegenden barmherzigen Schwestern. Sie alle waren völlig gesund gewesen, starben aber innerhalb von Stunden bzw. Tagen und wurden auf dem Stiftsfriedhof beerdigt.

Die acht barmherzigen Schwestern

† 10.08.1873
1. Carolina Anna von Mayer, 33 Jahre alt, Vorsteherin der barmherzigen Schwestern (KB Scheibe Nr. 52/1873)

† 11.08.1873
2. Wendeline Nieseke, 37 Jahre alt, (KB Scheibe Nr. 56/1873)
3. Madonia Maria Wiewelhofe, 29 Jahre alt, (KB Scheibe Nr. 57/1873)

† 12.08.1873
4. Adelinde Catharina Lampe, 28 Jahre alt, (KB Scheibe Nr. 58/1873)

† 15.08.1873
5. Felice Martin, 36 Jahre alt, (KB Scheibe Nr. 60/1873)
6. Edmunda Bamberg, 35 Jahre alt, (KB Scheibe Nr. 61/1873)
7. Humiliana Bersenkötter, 36 Jahre alt, (KB Scheibe Nr. 64/1873)

† 17.08.1873
8. Delphina Sohler, 33 Jahre, (KB Scheibe Nr. 66/1873)

Von den heutigen Krankenhauszimmern mit einer maximalen Belegung von vier Patienten war man noch weit entfernt. Die Betten wurden in großer Zahl in Krankensälen aufgestellt. Man glaubte so, die Kranken mit dem vorhandenen Personal jederzeit im Blick zu haben und im Notfall schneller Hilfe leisten zu können.

Dies erwies sich im vorliegenden Fall als fatal. Aus ein und demselben Krankenzimmer starben in den folgenden Tagen mehrere Patienten, sowie der Haushälter des Krankenstifts.

Die Todesfälle unter den Patienten

† 10.08.1873
1. Heinrich Horstmann, 62 Jahre alt, Haushälter im Krankenstift zu Scheibe, (KB Scheibe Nr.53/1873)

† 11.08.1873
2. Adolph Völkel, 28 Jahre, Eisenbahn-Arbeiter aus Buchau, (KB Scheibe Nr.51/1873)
3. Joseph Tautz, 50 Jahre alt, ledig, Inwohner in Sackisch, (KB Scheibe Nr.55/1873)

† 14.08.1873
4. Elisabeth Klapper, 41 Jahre, ledig, aus Kunzendorf bei Ullersdorf, (KB Scheibe Nr.59/1873)

† 15.08.1873
5. Theresia Krusche, 58 Jahre alt, Müllerwitwe aus Königshain, (KB Scheibe Nr.62/1873)
6. Amand Greiling (laut Taufbuch Greulich), 36 Jahre alt, Schaffer im Stift Scheibe, (KB Scheibe Nr.63/1873)

† 16.08.1873
7. Franz Langer, 36 Jahre alt, Eisenbahn-Arbeiter aus Wiesau, (KB Scheibe Nr.65/1873)

† 19.08.1873
8. Amand Hasler, 42 Jahre alt, Tagearbeiter aus Walddorf, (KB Scheibe Nr.68/1873)
9. Amand Pohl, 73 ½ Jahre alt, Handelsmann aus Ullersdorf, (KB Scheibe Nr.69/1873)

† 30.08.1873
10. Joseph Hoffmann, 60 Jahre, Inwohner, Eisenbahn-Arbeiter aus Goldbach, (KB Scheibe Nr.73/1873)

† 7.09.1873
11. Joseph Rolke, 36 Jahre, Eisenbahn-Arbeiter aus Baitzen, (KB Scheibe Nr.77/1873)

† 15.09.1873
12. Stanislaus Knigla (oder Cegla), 36 Jahre, verheiratet, Eisenbahn-Arbeiter aus Swinkow, Kreis Krotoschin, (KB Scheibe Nr.79/1873)

† 24.09.1873
13. Dorothea Gottschlich, geb. Hilscher (in Johnsbach), 33 Jahre alt, Häuslerwitwe in Labitsch, (KB Scheibe Nr.82/1873)
14. Joseph Roßa, 21 Jahre, Eisenbahn-Arbeiter aus Damratsch, (KB Scheibe Nr.83/1873)

† 30.09.1873
15. Johann Szymanski, 24 Jahre, Eisenbahn-Arbeiter aus Lubin, Kreis Kosten, (KB Scheibe Nr.85/1873)

† 1.10.1873
16. Lorenz Lasotta, 38 Jahre alt, Eisenbahn-Arbeiter aus Damratsch, (KB Scheibe Nr.86/1873)
17. Mathaeus Dzewiankowski oder Mathias Dziwiatka, 23 Jahre alt, Eisenbahn-Arbeiter (Herkunftsort nicht eindeutig), (KB Scheibe Nr.87/1873)

† 8.10.1873
18. Thomas Neumann, 43 Jahre, Eisenbahn-Arbeiter aus Stengosch, Kreis Pleschen, (KB Scheibe Nr.90/1873)

Was war geschehen?

Auffällig ist, dass es sich bei mehreren der Todesfälle um Eisenbahn-Arbeiter gehandelt hat. Die Eisenbahnlinie Breslau-Mittelwalde war von 1871 bis 1875 abschnittsweise im Bau. Im September/Oktober 1873 dürften die Arbeiter zwischen Wartha und Glatz im Einsatz gewesen sein.

Karte der Eisenbahnstrecke von Wartha nach Glatz
Karte mit der Eisenbahnstrecke von Wartha nach Glatz. Ausschnitt der Karte des Reichamts für Landesaufnahme, Berlin, 1932. Maßstab 1:100.000

Sehr wahrscheinlich ist es, dass der mit Cholera infizierte Eisenbahn-Arbeiter Adolph Völkel in das Krankenstift gebracht wurde. Seine ursprünglich vermerkte Todesursache war Typhus. Der Schreiber des Kirchenbuches ergänzte aber vermutlich nachträglich in Klammern „Cholera-Typhoid“, eine Diagnose, die später noch mehrfach auftauchte.

So genau konnte man die beiden durch Bakterien verursachten Krankheiten damals wohl noch nicht unterscheiden. Ein gemeinsames Symptom von Typhus und Cholera ist Durchfall. Stirbt der Patient, bevor man sich ein vollständiges Bild der anderen Symptome machen kann, war eine Diagnose schwer möglich. Außer den oben genannten 18 Todesfällen gab es in diesem Zeitraum auch noch mehrere mit der Todesursache Typhus (auch unter diesen befanden sich Bahnarbeiter).

Praktisch das gesamte Personal des Saales steckte sich noch am selben Tag an, ebenso wie der Haushälter des Stiftes. Auch einige der bereits dort wegen anderen Erkrankungen liegende Patienten infizierten sich.

Im Laufe der nächsten Tage lieferte man weitere erkrankte Bahnarbeiter ein. Dies kann man mit großer Wahrscheinlichkeit so interpretieren, dass der Infektionsherd im Lager der Bahnarbeiter zu suchen war und auf eine mangelnde Hygiene in der Trinkwasserversorgung und der Hygiene schließen lässt. Als im Oktober die Außentemperaturen sanken, nahm die Zahl der Neuerkrankten deutlich ab, da die Cholera-Bakterien Temperaturen über 10°C zum Überleben benötigen.

Eine Antwort auf „Cholera im Krankenstift“

Wieder mal ein spannender und informativer Bericht.
Ich freue mich jeden Sonntag auf Neues oder auch Altbekanntes.
Danke an alle Mitwirkenden!

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