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Damals Familienforschung

“Gastarbeiter” in der Grafschaft

Der Eisenbahntunnel Niederkönigswalde führte unter dne Höhenrücken der Freirichterkoppe entlang und endete in der Nähe des Dintergutes
Eisenbahntunnel in der Nähe des Bahnhofs Niederkönigswalde (im Volksmund Uffaloch = Ofenloch)

Industrialisierung und Transport

Die Mitte des 19. Jahrhunderts stand unter dem Vorzeichen der Industrialisierung. Wo früher kleinere Manufakturen die Fertigung von Gütern übernahmen, entstanden nun größere Fabriken, die die Produktion in größeren Mengen kostengünstiger übernahmen. Als Engpass stellte sich zunehmend der Transport des Rohmaterials, der Fertigprodukte, sowie der immer mehr zunehmende Personentransport heraus.
Die althergebrachten Verkehrsmittel – pferdegezogene Kutschen und Fuhrwerke – konnten den rapide steigenden Bedarf nicht mehr decken.

Lösung versprach die Entwicklung der Eisenbahn; in Schlesien wurde von der Oberschlesischen Eisenbahn AG als erste Strecke am 01.04.1842 die Verbindung Breslau – Ohlau eröffnet.

Die Eisenbahnstrecke Glatz – Waldenburg

Schließlich war es ab Mitte 1870 auch im Norden der Grafschaft so weit und die Arbeiten an der Strecke Glatz – Waldenburg begannen. In der Königswalder Schulchronik ist folgendes niedergeschrieben:

Bei Einführung der Kreisordnung 1874 wurde die Kirchengemeinde mit der Colonie Fichtig ein Amtsbezirk. Ebenso bildeten dieselben Ortschaften vom 1. Oktober des folgenden Jahres einen Standesamtsbezirk. In dieser Zeit begannen auch die Arbeiten für den Bau der Eisenbahn, durch welchen Königswalde der übrigen Welt wenigstens näher gerückt ist, wenn auch die sonstigen Vorteile derselben für unsern Ort sehr zweifelhaft erscheinen. Während der Zeit des Baues waren 400 bis 500 Arbeiter, meist Italiener, Böhmen u. Polen durch mehrere Jahre hier beschäftigt. Viele derselben waren sittlich und religiös verkommene Menschen und haben in dieser Hinsicht durch Beispiel u. Verführung viel Böses gestiftet. Das lehrt ein Blick in das Taufbuch. Einen Vorteil bot der Bau der Eisenbahn: er half vielen Familien über einige Notjahre hinweg, denn ein großer Teil des verdienten Geldes blieb am Orte für Wohnung, Beköstigung usw. Am 15. Oktober 1880 wurde die Bahn dem öffentlichen Verkehr übergeben. Seit jener Zeit ist der früher ziemlich rege Verkehr durch das Dorf fast völlig lahm gelegt, der Dampfwagen nur rollt in eiliger Hast über die Schienen.

Schulchronik Königswalde, S. 128 – 129

Etwa 6 Jahre hatte die Baustelle Königswalde in Anspruch genommen; sicherlich auch verursacht durch den Bau des gut 4 km langen Eisenbahntunnels unter der Freirichterkoppe zwischen Niederkönigswalde und dem Dintergut.

Unser “Gastarbeiter” Carl Girotta (Girotto) und Familie

Zu den zahlreichen italienischen Arbeitern gehörte auch ein Carl Girotta aus Lurate Abbate im Bezirk Como (Norditalien), der wie viele andere arbeitssuchend in der Grafschaft gelandet war. Dort lernte er wohl auch seine spätere Ehefrau Theresia Schubert kennen und heiratete sie am 10.06.1878 standesamtlich. Kurz danach kam ein “strammes Ein-Monats-Kind” zur Welt :-).

Ein Jahr später im Oktober 1879 kam dann das zweite Kind in Posada, Rumänien zur Welt. Carl und seine Frau Theresia hatten sich wohl einem neuen Baustellentrupp angeschlossen, die an einem Teil der Bahnlinie arbeitete, die von Bukarest über Österreich-Ungarn nach Braunau und Breslau führen sollte.

Im Jahr 1884 gebar Theresia Girotta ihr 3. Kind in Königswalde; auf welcher Baustelle Carl zu diesem Zeitpunkt eingesetzt war, ist nicht bekannt.
Danach muss die Familie nach Strehlen gegangen sein, denn dort kamen zwischen 1886 und 1891 die nächsten 4 Kinder zur Welt. Vermutlich arbeitete Carl dort an zwei Baustellen, die zeitlich nacheinander lagen (Grottkau – Glambach und Brieg – Heidersdorf).

Danach kehrte die Familie wohl wieder nach Königswalde zurück, denn die nächsten vier Kinder wurden zwischen 1894 und 1901 dort geboren.
Carl wurde nur 55 Jahre alt und starb 1904; Theresia starb 1939 mit 81 Jahren ebenfalls in Königswalde. In den Sterbeurkunden der beiden wurde als Familienname “Girotto” angegeben. Wann und aus welchem Anlass die Namensänderung stattfand, ist noch nicht geklärt.

Es war wahrhaft ein bewegtes Leben, das die Familie geführt hatte. Das Leben an den Baustellen dürfte auch nicht gerade komfortabel gewesen sein. Ob die Familie Verbindungen in die “alte Heimat” von Carl Girotta gehabt hat, ist leider nicht bekannt.

In dem Adressbuch Breslau von 1937 ist ein Karl Girotto (vermutlich das 5. Kind *1887) und im Adressbuch Glatz von 1937 sind im Beutengrund zwei Girottos aufgeführt.

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