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Das Sommerhochwasser 1938

Überschwemmungsgebiet 1938
Überschwemmungsgebiet mit den größten Zerstörungen in der Grafschaft Glatz und den angrenzenden Gebieten während des Sommerhochwassers 1938

Ende August bis Anfang 1938 kam es zu heftigen Regenfällen in der Grafschaft Glatz und den angrenzenden Gebieten. Große Wassermengen flossen von den Gebirgen hinab in den Glatzer Kessel und ließen die Flüsse und Bäche innerhalb weniger Stunden anschwellen. Stauseen und Talsperren konnten bald die Wassermassen nicht mehr aufnehmen. Viele Ortschaften wurden vom Hochwasser heimgesucht.

In der heutigen Zeit würden die Nachrichtensendungen mehrmals am Tag von den Ereignissen berichten. Damals steckte das Fernsehen noch in den Kinderschuhen, die Wochenschauen in den Kinos ließ man lieber Erfolgserlebnisse vermelden und die überregionalen Zeitungen brachten meist geschlossen denselben Artikel und entsandten keine eigenen Berichterstatter in das Überschwemmungsgebiet.

Mehrere Zeitungen meldeten daher im September 1938: „Wochen und Monate wird es noch dauern, bis die unvorstellbaren Schäden der letzten schlesischen Hochwasserkatastrophe wieder überwunden sind.“ „Was sie sich in jahrzehntelanger, mühseliger Arbeit aufbauten, das ist heute nur noch ein Haufen von zersplitterten Ästen, Balken, Lehm und Geröll…“

Aus der „schwer betroffenen Grafschaft Glatz“ wurden einige Beispiele für die Zerstörungen in den Zeitungen und anderen Quellen angeführt.

Bauer Klose aus Niederschwedeldorf trat um vier Uhr morgens aus seinem Haus und entdeckte dabei, dass der Weg, der bisher zu seiner auf einem 25m hohen Hang gelegenen Wirtschaft führte, verschwunden war. Nur wenige Schritte trennten ihn von einem Abgrund, an dessen Fuße die Weistritz mit reißender Strömung floss. Der ganze Hang war unterspült worden und ein großer Felsen weggebrochen. In die entstandene Lücke waren die Hofeinfahrt und ein großer Teil des Obstgartens gerutscht. Durch den Erdrutsch wurde das Flussbett verengt und die Weistritz überschwemmte das Dorf. Schnell stand das Wasser einen halben Meter hoch in den Häusern und sprengte von unten her die Fußböden.

Um ein weiteres Abrutschen des Hanges zu verhindern, wurde später die Weistritz um ca. 500 Meter auf das Gelände von Baron von Münchhausen verlegt. Zusätzlich ließ man den Felsen in den Wintermonaten durch Strafgefangene von der Festung Glatz abtragen. Auch die Anlage eines neuen Weges und die Verlegung der Ställe mit den dafür erforderlichen großen Erdarbeiten mussten die Gefangenen bewerkstelligen. Für den Abtransport der Erdmassen wurden hier sogar Schienen verlegt.

Nachdem das Wasser zurückgegangen war, fand man auf einem anderen Hof bei den Aufräumarbeiten Forellen im Pferdestall.

Die Geschehnisse in Eisersdorf wurden in der bereits an anderer Stelle vorgestellten Chronik geschildert und mit Fotos dokumentiert (Ab Seite 150).

In Ullersdorf blieben von der Reichsstraße ganze 2,5m übrig. Der Fluss hatte sich einen neuen Weg gesucht und alles mitgerissen, was im Weg war. Das alte Flussbett blieb als riesiger Geröllhaufen zurück.

In Kunzendorf an der Biele hatte sich der Flusslauf gleich mehrfach verschoben und dabei zwei Häuser weggerissen.

Landecker Biele nach dem Hochwasser
Geänderter Verlauf der Landecker Biele in Kunzendorf nach dem Hochwasser. Der Standort für die folgenden beiden Fotos (aufgenommen am 15.09.1928) befindet sich am oberen Teil des noch vorhandenen mittleren Straßenabschnitts.
Überflutete Straße nach Habelschwerdt
Die Straße nach Habelschwerdt wurde durch den neuen Verlauf der Landecker Biele überflutet (Blick flussabwärts). Die Baumreihe ganz links zeigt an, wo die Straße weiterführt. In der Bildmitte zwischen den beiden Bäumen wurde ein Haus weggerissen.
Blick flussaufwärts
Blick vom selben Standort aus in die andere Richtung (flussaufwärts). Der Baum in der Mitte stand auf dem alten rechten Ufer. Der Quergiebel des Hauses links wurde zum Einsturz gebracht.

Eines der Häuser war spurlos verschwunden, von dem anderen stand nur noch die Wand zur Straße hin. Die Besitzerin, eine über 70jährige Bäuerin, grub die zersplitterten Bretter und hölzernen Stangen aus dem Geröll, „um wenigstens im Winter etwas Holz zu haben“.

Bäuerin bei ihrem zerstörten Haus
Bäuerin bei ihrem zerstörten Haus. Direkt daneben fließt die Biele. (Westfälische Zeitung – Bielefeld, 17.09.1938)

Einige hundert Meter weiter wurde ein Brückenpfeiler unterspült und die schwere Eisenbrücke stürzte um.

Große Teile von Glatz waren überschwemmt. Auch hier stürzten mehrere Häuser ein. In der Minoritenkirche schwammen die Kirchenbänke durch das Kirchenschiff. In den überfluteten Straßen kamen Kähne und Schlauchboote zum Einsatz.

Königsheimer Brücke, Glatz
“Von ihren Auflagern gerissen, liegt die Königsheimer Brücke in Glatz im Strombett der wildtosenden Neisse.”

Bei Bad Altheide durchbrach die Weistritz zwei Dämme und überflutete 70-80 Grundstücke zum Teil meterhoch. Fast alle Brücken wurden beschädigt.

Auch in Ober-, Mittel- und Niedersteine, sowie in Ober- und Niederrathen stand bei den an der Neisse gelegenen Wirtschaften ein Meter hoch das Wasser.

In Rengersdorf wurde ein Motorradfahrer umgerissen und musste gerettet werden, ebenso wie weitere Einwohner und ein Menge Vieh. Hier war der Schutzdeich auf einer Länge von 42m zerstört und wurde später neu angelegt.

In Frankenstein stand teilweise das Wasser mehrere Meter hoch. Überall gab es Erdrutsche. Ein großer Teil der Ernte wurde in allen Ortschaften durch die anhaltenden Regenfälle vernichtet.

Vernichtete Ernte
Das abgeerntete und zu Garben gebundene Getreide verfaulte auf den Feldern.

Die Technische Nothilfe, die Vorgängerorganisation des Technischen Hilfswerks (THW), unterstützte bei den Aufräumarbeiten. Aber schon ein Jahr später begann der 2. Weltkrieg und die Beseitigung vieler Hochwasserschäden wurde nicht mehr realisiert.

Quellen:

Josef Brinkmann, Waltraud Patzelt (Hrsg.): Heimatbuch der Gemeinde Niederschwedeldorf in der Grafschaft Glatz/Schlesien. Georgsmarienhütte – Oldenburg. 2001

Knothe, Herbert: Das schlesische Sommerhochwasser 1938. Priebatschs Buchhandlung. Breslau. 1939

Zeitungsmeldung in den Innsbrucker Nachrichten vom 17.09.1938

Schmidt, Egon-Arthur: Hochwasserkatastrophe in Schlesien 1938 und der Einsatz der Technischen Nothilfe. Ein Bericht in Wort und Bild. Räder-Verlag. 1939 (Bildausschnitt von der Karte des Überschwemmungsgebietes auf Seite 11)

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